Universal-Religion

 

  

 

Eine Ansprache über geistige Bruderschaft

 

 (Aus dem Bahá'i-Schrifttum) 

 

 

Am 19. Mai 1912

Ansprache von 'Abdu'l-Bahá in der Bruderschaftskirche

Bergen and Fairview Avenues, Jersey City, New Jersey

 

 

Anmerkung: "Bruderschaft" nicht im Sinne einer männlichen Vorherrschaft,

   sondern im Sinne einer geistigen "Menschengemeinschaft".

 

  Weil diese Kirche Bruderschaftskirche heisst, möchte ich über die Bruderschaft der Menschheit sprechen. Der Menschheit liegt eine vollkommene Bruderschaft zugrunde, denn alle sind Diener eines Gottes und gehören einer Familie unter dem Schutz der göttlichen Vorsehung an. Das Band der Bruderschaft besteht in der Menschheit, weil alle intelligente Wesen sind, die im Reich entwicklungsmässigen Wachstums geschaffen wurden. Bruderschaft be-steht als Anlage in der Menschheit, weil alle diesen irdischen Globus unter dem einen Baldachin des Himmels bewohnen. Bruderschaft besteht als angeborene Eigenschaft der Menschheit, weil alle die Elemente einer menschlichen  Gesellschaft sind, die der Notwendigkeit der Uebereinstimmung und Zusammenarbeit  unterworfen ist. Bruderschaft besteht als Ziel der Menschheit, weil alle die Wellen eines Meeres, die Blätter und Früchte eines Baumes sind. - Das ist die physische Verbundenheit, welche materielles Wohlergehen in der Menschheit gewährleistet. Je stärker sie wird, desto mehr wird die Menschheit fortschreiten und der Kreis der Stofflichkeit sich erweitern.

 

   Die wirkliche Bruderschaft ist geistig, denn physische Bruderschaft ist der Trennung unterworfen. Die Kriege der äusseren Welt der Existenz trennen die Menschheit, aber in der ewigen Welt der geistigen Bruder-schaft ist Trennung unbekannt. Materielle oder physische Vereinigung ist auf irdische Interessen gestützt, aber die göttliche Bruderschaft verdankt ihre Existenz dem Odem des Heiligen Geistes. Geistige Bruderschaft kann mit dem Licht verglichen werden, und die Seelen der Menschen sind Lampen. Die Glühlampen sind viele, aber das Licht ist eines.

 

  Zu einer Zeit, als im Orient noch nicht einmal die physische Bruderschaft existierte, erschien Bahá'u'lláh. Zuerst legte Er die Grundsätze physischer Bruderschaft dar und stiftete dann die geistige Bruderschaft. Er atmete einen solchen Geist in die Länder des Orients, dass verschiedene Völker und Krieg führende Stämme sich in Einheit vermischten. Ihre Gaben und Empfänglichkeit wurden eins, ihre Absichten eine Absicht, ihre Wünsche ein Wunsch, und dies in solchem Masse, dass sie sich füreinander opferten und Name, Besitz und Behaglichkeit verloren. Ihre Verbundenheit wurde unauflöslich. Dies ist eine ewige, geistige Verbundenheit, eine himmlische und göttliche Bruderschaft, welche sich der Auflösung widersetzt. Die materielle Kultur schreitet durch die physische Verbindung der Menschen voran. Der Fortschritt, den man in der äusseren Welt sieht, ist hauptsächlich auf der Brüderlichkeit der materiellen Interessen begründet. Jetzt ist - Preis sei Gott - die unauflösliche geistige Verbindung offenbar; darum ist es gewiss, dass die göttliche Kultur gestiftet wurde und die Welt geistig fort- und voranschreiten wird. In diesem strahlenden Jahrhundert werden göttliches Wissen, göttliche Eigenschaften und geistige Tugenden den höchsten Grad des Fortschritts erreichen. Die Spuren davon sind in Persien manifestiert worden. Seelen sind zu einem solchen Grad fortgeschritten, dass sie füreinander Gut und Leben hingaben. Ihre geistige Wahrnehmung hat sich entwickelt; ihre Intelligenz ist belebt worden, ihre Seelen sind erwacht. Aeusserste Liebe hat sich manifestiert. Es ist darum meine Hoffnung, dass geistige Brüderlichkeit den Osten und den Westen vereinen und die völlige Aufhebung des Krieges unter den Menschen herbeiführen wird. Möge sie die Einzelnen und die Angehörigen der Menschen-familie zusammenbinden und das Fortschreiten der Geister bewirken, indem sie die Herzen erleuchtet und es ermöglicht, dass die himmlischen Gaben uns von allen Richtungen umfassen. Möge geistige Empfänglichkeit die Herzen durch die frohe Botschaft erglühen lassen. Möge geistige Bruderschaft Wiedergeburt und Erneuerung bewirken, denn ihre schöpferische Belebung strömt aus dem Odem des Heiligen Geistes und ist durch die Macht Gottes gestiftet. Gewiss ist das, was durch die göttliche Macht des Heiligen Geistes gestiftet wird, beständig in seiner Wirksamkeit und dauernd in seiner Wirkung.

 

  Die materielle Bruderschaft kann den Krieg nicht verhindern und nicht beseitigen; sie löst die Gegensätzlichkeiten unter den Menschen nicht auf. Aber geistige Verwandtschaft zerstört die Grundlage des Krieges, löscht Gegensätzlichkeiten gänzlich aus, verbreitet die Einheit der Menschheit, belebt die Menschheit neu, veranlasst die Herzen, sich dem Reich Gottes zuzuwenden, und tauft die Seelen mit dem Heiligen Geist. Durch diese göttliche Bruderschaft wid die materielle Welt mit den Lichtern der Göttlichkeit erleuchtet werden, der Spiegel des Materiellen wird sein Licht vom Himmel her empfangen und Gerechtigkeit wird in der Welt errichtet werden, so dass keine Spur von Finsternis, Hass und Feindschaft mehr sichtbar sein wird. Die Menschheit wird in die Grenzen der Sicherheit kommen, die Prophetenschaft aller Gottesboten wird errichtet werden, Zion wird hüpfen und tanzen, Jerusalem wird sich freuen, das Feuer Moses wird entzündet werden, das messianische Licht wird erscheinen, die Welt wird eine andere Welt werden und die Menschheit wird sich in eine andere Macht kleiden. Dies ist die grösste göttliche Gabe; dies ist der Glanz des Reich Gottes; dies ist der Tag der Erleuchtung; dies ist das gnadenhafte Jahrhundert. Wir müssen diese Dinge wertschätzen und danach streben, dass der höchste Wunsch der Propheten sich jetzt verwirklicht und alle frohen Botschaften sich erfüllen. Vertraut auf die Gunst Gottes. Schaut nicht auf eure eigenen Fähigkeiten, denn Gottes Gabe kann in ein Meer umwandeln; sie kann aus einem winzigen Samenkorn einen grossen Baum machen. Wahrlich, die göttlichen Gnadengaben sind ein Meer, und wir sind die Fische in diesem Meer. Die Fische dürfen nicht auf sich selbst schauen; sie müssen das Meer sehen, das weit und wunderbar ist. Es ist für alle gesorgt in diesem Meer; darum umfassen die göttlichen Gaben alles und die ewige Liebe scheint auf alle.   >26                             

 - 'Abdu'l-Bahá - 

 

 

 

     

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