Universal-Religion

 
 
Eine Ansprache von 'Abdu'l-Bahá 
 
am 16. Juni 1912 in der Central Congregational Curch zu Brooklyn, New York;
 

 

   "Dies ist eine erhabene Andachtsstätte, eine edle Gemeinde, denn - Gott sei gelobt - es ist ein Gotteshaus, in dem Ueberzeugungen und An-sichten frei geäussert werden können.  
 
  Jede Religion, jede gläubige Sehnsucht kann hier frei verkündet und ausgedrückt werden. Wie der Bereich des Politischen der Gedanken-freiheit bedarf, so sollte auch im Bereich der Religion das Recht unein-geschränkter persönlicher Ueberzeugung herrschen. Welch grosser Un-terschied besteht zwischen moderner  Demokratie und den alten Ordnungssystemen des Despotismus. Unter einer autokratischen Regie-rung sind die Menschen nicht frei, jede Entwicklung wird erstickt; in der Demokratie hingegen herrscht umfassender Fortschritt, weil Gedanken und Rede nicht beschränkt sind. Dies trifft gleichermassen für den Bereich Religion zu. Wo sich Glaubensfreiheit, Gedankenfreiheit und  das Recht der freien Meinungsäusserung durchgesetzt haben, das heisst, wo jeder  nach eigenem Belieben seiner Auffassung Ausdruck verleihen kann,  sind Fortschritt und  und Entwicklung unaus-bleiblich. Darum ist dies hier eine gesegnete Kirche. Ihre Kanzel steht jeder Religion zur Verfügung; jede kann frei und offen ihre Ideale darlegen. Dafür bin ich auch dem hochwürdigen Pfarrer überaus dankbar. Ich sehe in ihm in der Tat einen Diener an der Einheit der Menschheit.
 
  Die heiligen Manifestationen, die Quellen oder Stifter der ver-schiedenen religiösen Systeme, sind in ihrer Absicht und in ihren Lehren eins und stimmen miteinander überein. Abraham, Moses, Zarathustra, Buddha, Jesus, Muhammad, der Báb und Bahá'u'láh sind eins in ihrem Geist und in ihrer Wirklichkeit. Ueberdies erfüllt jeder Prophet die Verheissung Dessen, der Ihm vorausgegangen war; auch kündet jeder Denjenigen an, der Ihm nachfolgen werde. Seht, wie Abraham das Kom-men Mose voraussagte und wie Mose die Worte Abrahams verkörperte. Moses prophezeite das Zeitalter des Messias, und Christus erfüllte das Gesetz Mose. Es ist deshalb einleuchtend, dass die heiligen Manifesta-tionen, die die Relegionssysteme begründeten, zusammengehören und übereinstimmen; zwischen ihren Sendungen und Lehren kann nicht unterschieden werden.  Sie alle strahlen die Wirklichkeit wider und verkünden die Religion Gottes. Die Religion Gottes ist die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit ist nicht vielerlei, sondern eins. Deshalb sind die Grundlagen der Religionssystem eins: Alle gehen von der unteilbaren Wirklichkeit aus. Die Anhänger dieser Systeme jedoch sind uneins geworden. Zwietracht, Streit und Krieg haben sich zwischen ihnen erhoben, denn sie haben die Grundlage verlassen und sich an das gehal-ten, was nur Nachahmung und äussere Form ist. Da diese Nachah-mungen voneinander abweichen, sind Streit und Feindschaft entstanden. So hat zum Beispiel Jesus Christus - möge mein Geist ein Opfer für Ihn sein - die Grundlage ewiger Wirklichkeit gelegt, aber nach Seinem Hinscheiden hat sich die Christenheit in viele Sekten und Richtungen gespalten. Wie ist es dazu gekommen? Zweifellos gehen diese Spaltun-gen auf dogmatische Nachahmungen zurück, sind doch die Grundlagen, die Christus gelegt hat, die Wirklichkeit selbst, innerhalb derer es keine Abweichungen gibt. Wo Nachahmung erfolgte, bildeteten sich Sekten und Konfessionen.
 
  Wenn die Christen aller Richtungen und Konfessionen die Wirklichkeit erforschen, werden die Grundlagen Christi sie zusammenführen. Keine Feindschaft, kein Hass werden zurückbleiben; denn sie werden alle unter der Führung der Wirklichkeit selbst stehen. Genauso ist es im grossen Massstab: Wenn sich alle bestehenden Religionssysteme von vorväterlichen Nachahmungen abwenden, die Wirklichkeit erforschen und die wahre Bedeutung der heiligen Bücher zu ergründen suchen, werden sie zusammenfinden und sich auf dieselbe Grundlage, auf die Wirklichkeit, einigen. Solange sie jedoch verfälschten Lehrssätzen oder Nachahmun-gen statt jener Wirklichkeit anhängen, werden Feindselig-keit und Uneinigkeit  fortbestehen und sich noch vermehren."   >71
 
  
  
aus "The Promulgation of Universal Peace", Wilmette 1982, Seite 197 f.
 
 
 
 
 
 

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